Die Färöer haben wir mit 4-stündiger Verspätung verlassen. Damit sich die Passagiere nicht verletzen, hat der Kapitän der Fähre Nörresta entschieden. Grund: ein heftiges Sturmtief, das da irgendwo auf dem Nordatlantik vor sich hin tobt.
Mit der Verzögerung wird alles etwas angenehmer, hat die Crew versprochen. Kurz nach dem Ablegen in Torshavn um 19 Uhr wünscht der Kapitän eine gute Fahrt nach Island, der Abend und die Nacht würden noch "rolling", bei bis zu fünfeinhalb Meter hohen Wellen, nur noch Sturmstärke 5 aus Südwest.
Die Fahrt durch die Inseln der Färöer bis zum offenen Mehr ist atemberaubend. Rechts und links vom Schiff erheben sich steile, grüne Bergkegel, teilweise verschwinden ihre Gipfel in den tiefhängenden Wolken, Dörfchen kleben an der Küste, Fischerboote tanzen.
Nach zweieinhalb Stunden ist das offene Meer erreicht. Und dann geht es los. Wer Magenprobleme und Seekrankheit ahnt hat sich noch rechtzeitig Reisetabletten und Zäpfchen zugeführt, aber auch die anderen Passagiere wie ich können in den nächsten Stunden an Schlaf nicht denken.
Rechtzeitig ins Bett ist die Devise. Notfalls auf allen Vieren in der schmalen Kabine. Der Gang zum Klo ist mit seinen zwei Metern ein unberechenbares Abenteuer. Ich liege ausgestreckt auf meinem Bett auf dem Rücken und erlebe in dieser Position, wie mein Körper um sich selbst kreist. Hoch, rechts, runter, links. Immer und immer wieder. Mal werde ich gegen die Kabinenwand gedrückt, danach stemme ich mich schon wieder dagegen, in der Gegenrichtung aus dem Bett zu fallen. Ein Krankenhausbett mit Gitter wäre jetzt nicht schlecht.
Dazu kommen die Geräusche. Wenn der Schiffsrumpf donnernd auf das Wasser schlägt, Wände, Decken, Türen, Schränke ächzen, als ob sie alle gleich zusammenbrechen. Zwischendrin rumpelt etwas verdächtig unter meiner Kabine im Laderaum und ich hoffe, dass sich da nicht gerade ein 30-Tonner nebst Ladung selbständig macht. Irgendwann ergießt sich der Inhalt des Nachttischs über mein Bett, im Bad fällt ein Duschgel zu Boden. Das schien uns der Wikinger wirklich voraus zu haben: keine Getränkedosen auf dem Nachttisch und keine 30-Tonner mit an Bord.
Ich probiere, mit den Bewegungen des Schiffes eins zu werden und mich nicht dagegen zu stemmen. Der Versuch endet nach einer Minute auf dem Kabinenboden und scheitert an meinem Unwillen, dort wie eine leere Bierflasche hin und her zu rollen.
Die Müdigkeit siegt gegen 2 Uhr für ein paar Minuten. Die Bettdecke habe ich mir inzwischen zu einem Knäuel getrampelt und liege auf ihr, wie ein ungeübter Reiter auf dem Rücken eines durchgehenden Pferdes mit beiden Beinen krampfhaft an ihr Halt suchend. Ein paar Minuten später bin ich durch eine Schulterprellung an der Kabinenwand wieder hellwach.
Mit der Zeit überlege ich, wie man jemandem diese Nacht erklärt. Wie im Wasserbett auf Speed? Mit mehreren Überdosen Alkohol und Drogen gleichzeitig? Dauer-Achterbahn-Fahren? Alles zusammen könnte es treffen, was da abgeht auf einem kleinen rollenden Kasten, der einsam im Nordmeer gen Island stampft.
Kurz nach 2 starte ich das verhängnisvolle Unternehmen Klo. Irgendwie schaffe ich es, zur Badttür zu kommen, halte mich bei einem neuen starken Seitwärtsrollen des Schiffes instinktiv an der Innenseite des Türrahmens auf der Türseite fest, die Schiffsbewegung schlägt die Tür zu - danach ist nur noch Schmerz, Übelkeit, ein blauer Daumennagel. Es ist mir egal, ob ein Wikinger keinen Schmerz gekannt hätte - ich fluche.
Gegen 4 Uhr muss es ruhiger geworden sein. Um 9 gehöre ich zu denen, die beim Frühstück vollkommen übernächtigt breitbeinig mit konzentriertem Gesicht Kaffeetassen vor sich hertragend beim Schub einer Dünung ineinander rennen. Das Schiff ist immer noch "rolling".
Wir erfahren, dass die Wellen 7,5 Meter hoch waren. Aber es warten zwei Tage Festland.