Mathias Piecha
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Die wollen das so

6/4/2014

2 Comments

 
Ich mache seit 14 Jahren Radio. Und bin dabei immer wieder einem Satz begegnet: "Der Hörer möchte das so." Nur ein Beitrag pro halbe Stunde - der Hörer möchte das so. Der Beitrag höchstens 1:30, oder besser noch nur zwei moderierte O-Töne auf Musikbett - der Hörer möchte das so. Von amerikanischen Studien beseelte Programmmacher sendeten plötzlich "Formatradio". Weil "der Hörer das so wollte".

Als es beim Formatsender WDR2 vor Jahren eine Formatierung von Beiträgen auf maximal zwei Minuten geben sollte begehrte der verantwortliche Redakteur für den "Stichtag" auf, eine tägliche Serie zu geschichtlichen Ereignissen. Er erreichte, dass die Hörer wirklich gefragt wurden. Und siehe da: die 4 Minuten "Stichtag" fanden sie genau richtig, kürzer wollten sie ihn nicht.

Verstehe einer diesen Hörer! So schwer ist das aber gar nicht. Dieser Hörer ist nämlich gar kein dummer Berieselungsfanatiker. Er erkennt nur einfach, was gut gemacht ist, aufwendig recherchiert und gekonnt produziert. Wie z.B. die täglichen 4 Minuten "Stichtag", gut gemachte Geschichte mitten im Formatradio von guten Autoren.

Weiter gedacht: freie Autoren, die irgendwann mal irgendwie zum Radio kamen und mal eben einen O-Ton holen sollen werden auch oft nur Beiträge abliefern, die höchstens 1:30 lang das Interesse des Hörers finden. Wir haben also das Henne-Ei-Problem: wer war zuerst da, der sparende Redakteur im Sender oder der immer weniger hören wollende Hörer?

Wechseln wir das Medium. Hin zum großen Fernsehen. Wo man gestern Abend eine Institution beendete. "Wetten, dass...", Europas erfolgreichste Fernsehshow. Begründung der ZDF-Programmmacher: "veränderte Sehgewohnheiten" der Zuschauer. Da ist es wieder! "Der Zuschauer möchte das nicht mehr".

Rückblende. Markus Lanz übernahm von Thomas Gottschalk "Wetten, dass..." mit dem Vorsatz, es alles ein bisschen mehr so zu machen, wie der Zuschauer es will. Also z.B. mit Privatfernseh-Nervmoppel Cindy von Marzahn, mit Promi-Sackhüpfspielchen, um den Dschungelmadenesser guckenden Zuschauer nicht zu überfordern.

Als Markus Lanz zum ersten Showauftritt in die Halle stürmte tat er das mit so einem peinlich schlechten Eingangsgag, dass man sich fragen musste, was für ein Niveaulimbo Lanz da glaubte, spielen zu müssen, um den Zuschauer für sich zu gewinnen.

Als sich internationale Stars wie Tom Hanks einfach nur noch auf der Lanz-Couch verarscht vorkamen ob des schulfestmäßigen Gehopses war die Reaktion von Lanz und ZDF: in Zukunft weniger internationale Promis in der Sendung. Aha! Denn die Quoten bröckelten bereits und der Zuschauer wollte wohl weniger Amerikaner in der Sendung, schon gar keine, die die deutsche Sendung scheiße fanden.

Nein! Auch hier ist "der Zuschauer" wieder nur der vorgeschobene Deckmantel für die unsägliche Unfähigkeit der Programmmacher, noch Qualität abzuliefern.

Trotz immer größerer Konkurrenz am Samstagabend: Gottschalk hatte immer noch Quote gemacht. Ohne Cindy, mit amerikanischen Hollywood-Größen. Und wer mit dem Dschungelcamp schon am oberen Ende seiner geistigen Aufnahmefähigkeit angelangt war guckte auch damals nicht "Wetten, dass...".

Aber der Zuschauer bekam noch gut gemachte Unterhaltung, von einem blondgelockten Profi, der sein Handwerk gelernt hatte. Übrigens beim Radio, zu einer Zeit, als es noch kein Formatradio gab.

Es stirbt mit "Wetten, dass..." nicht einfach nur eine ehemals große Fernsehsendung. Wir erleben das Ende einer Zunft. Unterhaltungsprofis mit Gespür für Qualität haben keine Chance mehr, irgendwo heranzuwachsen und zu lernen, sich und erst recht Formate zu entwickeln. Die Formate sind schon da, und wer mitspielen möchte muss sich in diese Formate pressen lassen.

Aber ich behaupte: Zuschauer und Zuhörer können am wenigsten dafür.
2 Comments
Susanne Spitz link
6/4/2014 02:21:25

Danke!
Wie wunderbar auf den Punkt gebracht.

Wie bei jedem Produkt, so muss sich auch Radio und Fernsehen fragen: Wer ist meine Zielgruppe. Natürlich gibt es eine Zielgruppe für das "Dschungelcamp-Niveau". Aber ist es ratsam, dass man nur noch diese Menschen anspricht?

Ich jedenfalls gehöre zu der Gruppe Zuhörer/Zuschauer, die dementsprechen öfter aus- oder umschalten - denn zum Glück gibt es noch einige Spartensender, die meinen Geschmack treffen.

Reply
Michael Westerhoff link
6/4/2014 17:09:18

Leider ist die von Radio-Autoren aufgestellte These, dass der Hörer längere Stücke will, genauso unbewiesen. Aus ökonomischer Sicht ist Musik garantiert vernünftiger als Wort :-) Im Ernst: Mit höherem Grad an Formatierung kehrt das Wort zurück. Sprich: Je mehr Konkurrenz auf Markt erhöht Chancen von Wortprogrammen. Auch das beweisen USA, in denen News-Talk-Sender Marktführer sind.

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    Mathias Piecha

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