Das erste Mal seit über 10 Jahren gehe ich wieder in einen Zirkus. Premierenabend. Eine lange Schlange, vom Zelt bis an die Straße und an ihr entlang, 300 Meter sind es mindestens.
Die geduldig Wartenden werden unterhalten. Ein Irrer mit Blaumann und Kettensäge. Ein blutüberströmter Zombie. Ein Humpelnder mit Gasmaske und Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. Natürlich, denn die Veranstaltung nennt sich "Zirkus des Horrors".
Ich habe eine Freikarte und bin etwas schneller im Zelt als die anderen. Schon direkt nach dem Eingang: absolute Dunkelheit. Schattenwesen bugsieren mich weiter, mal rechts rum, mal links rum, schaurig lachend. Dann bin ich im Vorzelt. Stände mit Essen und Trinken, beleuchtet von elektrisch flackernden Kerzen. Dazwischen Särge mit Skeletten, Draculafiguren, Spinnweben, Fledermäuse und große Spinnen. Nicht mehr viel Zeit bis zum Beginn der Vorstellung, ich gehe ins Zelt, lasse mir von einem Buckligen mit Kette meinen Platz in der Loge zeigen.
Zirkus. Ein hohes, rundes Zelt, Platz für 1.500 Personen. Bis zum letzten Platz besetzt. Dazu Fernsehteams und Pressefotografen. Direkt vor mir die Manege. Oder besser gesagt: die runde Bühne. Eine Holzfläche, leicht erhöht. Kein Sägemehl, kein Geruch nach Tieren oder Elefantenkot, wie ihn meine Erinnerung noch in der Nase hat.
Die Vorstellung beginnt. 4 Männer in Mönchskutten bringen einen Sarg herein. Ihm entsteigt der Moderator des Abends - Nosferatu.
Die geduldig Wartenden werden unterhalten. Ein Irrer mit Blaumann und Kettensäge. Ein blutüberströmter Zombie. Ein Humpelnder mit Gasmaske und Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. Natürlich, denn die Veranstaltung nennt sich "Zirkus des Horrors".
Ich habe eine Freikarte und bin etwas schneller im Zelt als die anderen. Schon direkt nach dem Eingang: absolute Dunkelheit. Schattenwesen bugsieren mich weiter, mal rechts rum, mal links rum, schaurig lachend. Dann bin ich im Vorzelt. Stände mit Essen und Trinken, beleuchtet von elektrisch flackernden Kerzen. Dazwischen Särge mit Skeletten, Draculafiguren, Spinnweben, Fledermäuse und große Spinnen. Nicht mehr viel Zeit bis zum Beginn der Vorstellung, ich gehe ins Zelt, lasse mir von einem Buckligen mit Kette meinen Platz in der Loge zeigen.
Zirkus. Ein hohes, rundes Zelt, Platz für 1.500 Personen. Bis zum letzten Platz besetzt. Dazu Fernsehteams und Pressefotografen. Direkt vor mir die Manege. Oder besser gesagt: die runde Bühne. Eine Holzfläche, leicht erhöht. Kein Sägemehl, kein Geruch nach Tieren oder Elefantenkot, wie ihn meine Erinnerung noch in der Nase hat.
Die Vorstellung beginnt. 4 Männer in Mönchskutten bringen einen Sarg herein. Ihm entsteigt der Moderator des Abends - Nosferatu.
Der "Zirkus des Horrors" hat begonnen. Monster, Zombies, Frauen in altertümlichen Kleidern. Seiltänzer, ein unglaublich biegsamer Schlangenmensch, eine Frau, die sich Nadeln durch Arme und Zunge führt, Akrobaten auf dem rotierenden Todesrad, ein Clown.
Dann ist Pause. Zeit für eine Bockwurst, ein Bier. Zeit, mich dem Clown zu nähern. Wahrscheinlich ist er es, wegen dem ich hier bin. Nehme ich an. Er hat wenig Zeit, muss Interviews geben. Für das ZDF, für RTL, für ein Lokalradio, für Zeitungen.
Dann, die Pause ist fast vorbei, kann ich endlich auf ihn zugehen, sage meinen Namen. "Mathias! Du bist das! Irgendwie kam mir Dein Gesicht bekannt vor", sagt der Clown. 27 Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen, davor 5 Jahre lang im Gymnasium die selbe Schulbank gedrückt, Lehrer geärgert, unsere Freizeit zusammen verbracht. Schon damals war Oliver absolut vernarrt in den Zirkus, reiste in den Ferien mit den Althoffs herum, hatte schon erste Auftritte, brach die Schule vorzeitig ab, erfüllte sich seinen Traum vom Zirkus. Irgendwann vor kurzem haben wir uns wiedergefunden im Internet, ausgemacht, uns zu treffen, wenn er in der Nähe gastiert.
Viel Zeit bleibt uns erst mal nicht, die Vorstellung des Horrors geht weiter. Mit Blondinen in Hula-Hup-Reifen, die perfekt atemberaubende Figuren haben, mit einem Feuerjongleur in Rockermontur zu Heavy-Metal-Musik, mit Motorrädern, die von einer Rampe durch das Zelt fliegen und dann auch mit echtem Blut. Bei dieser Nummer muss ich schlucken: einer der Künstler lässt sich blanke Eisennägel durch den nackten Oberkörper treiben und daran ein Seil befestigen, an dem er nach oben gezogen wird. Das Publikum fiebert mit, ist begeistert. Nach seiner Landung läuft dem Künstler das Blut den Rücken hinunter.
Viel Zeit bleibt uns erst mal nicht, die Vorstellung des Horrors geht weiter. Mit Blondinen in Hula-Hup-Reifen, die perfekt atemberaubende Figuren haben, mit einem Feuerjongleur in Rockermontur zu Heavy-Metal-Musik, mit Motorrädern, die von einer Rampe durch das Zelt fliegen und dann auch mit echtem Blut. Bei dieser Nummer muss ich schlucken: einer der Künstler lässt sich blanke Eisennägel durch den nackten Oberkörper treiben und daran ein Seil befestigen, an dem er nach oben gezogen wird. Das Publikum fiebert mit, ist begeistert. Nach seiner Landung läuft dem Künstler das Blut den Rücken hinunter.
Nosferatu beendet die Vorstellung schließlich, es gibt Standing Ovations, Blumen für die Darstellerinnen und Akrobatinnen. Der "Zirkus des Horrors" hat seine Premiere geschafft.
Eine Zirkusvorstellung der anderen Art, sicherlich. Und doch bin ich hin- und hergerissen: hat es mir gefallen? Statt Manegensand gab es Feuerstöße aus dem Bühnenboden, statt Pferden blutende Akrobaten, statt Kaninchen aus dem Hut Nadeln durch die Zunge. Bin ich schon zu altmodisch, um da gleich völlig begeistert von zu sein?
Oliver ist jetzt noch in seinem Nosferatukostüm, muss sich fotografieren lassen, bis sich das Zelt langsam leert. Dann kommt er zu mir. "Es juckt unter der Maske, ich muss da erst mal raus und mich abschminken", entschuldigt er sich. Eine halbe Stunde später ist er zurück von seinem Wohnwagen. Zum ersten mal seit 27 Jahren sehe ich ihn nun ungeschminkt vor mir. "Sind wir alt geworden", lachen wir beide.
Dann ist Partytime. Die Künstler feiern die Premiere, mit Essen vom Buffet und Sekt. Die Blondinen - noch immer in ihren hautengen Kostümen - tanzen ausgelassen, andere Künstler haben ihre Kinder dabei. Eine 100-köpfige Zirkusfamilie.
Oliver und ich stehen an der Bar, mit Sekt und Red Bull. Erzählen uns, was wir so gemacht haben. Oliver, den unser damaliger Musiklehrer als "absolut unmusikalisch" abstempelte, weil er mit der Blockflöte nicht sehr viel Lust zeigte, ist inzwischen ausgebildeter Musikclown, ausgezeichnet mit etlichen Preisen. Er hat mit den Zirkussen die Welt bereist, spricht 7 Sprachen. Er war zweimal Direktor von eigenen Zirkussen. Einmal damit pleite gegangen in Spanien, einmal in Deutschland. "Keine Zuschauer, keine Einnahmen", erzählt er. Die Leute gingen einfach nicht mehr in den Zirkus, viele Unternehmen hätten schon dicht machen müssen.
Zwischendurch unterhalten wir uns mit Ricardo. Er war an diesem Abend Premierengast, tritt sonst in einem der größten Zirkusse Deutschlands auf. Auch er hat nichts Gutes zu berichten. In Koblenz zwei Abende ausverkauft, danach kaum noch Zuschauer. In Aschaffenburg abgesagte Vorstellungen mangels Interessse.
Oliver erzählt mir, der "Zirkus des Horrors" sei ein Versuch, etwas Neuartiges, Modernes zu bieten, um den Zirkus mit anderen Mitteln am Leben zu erhalten. Inzwischen sind wir bei der zweiten Flasche Sekt. Wir philosophieren, was sich verändert hat, dass man Eltern mit ihren Kindern oder auch "normale Menschen" nicht mehr in den klassischen Zirkus locken kann.
"Die Menschen sind übersättigt von heutigen Freizeitangeboten, Musicals, Freizeitparks, und vom Zirkus hat man schon alles im Fernsehen gesehen", meine ich. Oliver widerspricht. Das Fernsehen habe dem Zirkus noch nie geschadet. Er meint, die Leute seien zu viel mit dem Internet beschäftigt, nur noch bei Facebook, statt mal rauszugehen.
Ich erkläre ihm aus meiner Erfahrung, warum das so ist. Dass man heute oft arbeitet für 2, unter Druck und Überstunden, für große Freizeitaktivitäten die Zeit und Energie fehlt, selbst am Wochenende. Dass soziale Netzwerke oft noch die einzige Möglichkeit bieten, Kontakt mit Freunden aufrecht zu halten, mitzubekommen, was bei ihnen los ist.
Wir beide sind uns nachts um halb drei einig: das Leben hat sich verändert, nicht weil wir beide 27 Jahre älter geworden sind, sondern weil wir nicht mehr den Sinn haben und uns die Zeit nehmen für den Geruch von Sägemehl und Elefantenkot, die alte Zirkusromantik.
Ich erfahre schließlich noch, dass der lange, kalte Winter auch für dieses junge Zirkusprojekt enorme unerwartete Kosten verursacht, um das Zelt zu heizen und Wasserleitungen in den Wohnwagen nicht einfrieren zu lassen. Die Proben haben die Artisten aus Kostengründen sogar im unbeheizten Zelt abhalten müssen, bei Null Grad.
Als ich die feiernde Zirkusfamilie gegen Morgen verlasse wünsche ich ihnen viel Erfolg und immer ein volles Zelt. Auch wenn es nicht mehr nach Manege und Tieren riecht - es gibt sie immer noch, die Akrobaten und Zirkusleute mit Leib und Seele, die uns zwischendurch in ihre Welt entführen möchten. Wenn sie verschwinden dann verschwindet ein letzter Rest Illusion und Unbekümmertheit in unserer Welt.
Eine Zirkusvorstellung der anderen Art, sicherlich. Und doch bin ich hin- und hergerissen: hat es mir gefallen? Statt Manegensand gab es Feuerstöße aus dem Bühnenboden, statt Pferden blutende Akrobaten, statt Kaninchen aus dem Hut Nadeln durch die Zunge. Bin ich schon zu altmodisch, um da gleich völlig begeistert von zu sein?
Oliver ist jetzt noch in seinem Nosferatukostüm, muss sich fotografieren lassen, bis sich das Zelt langsam leert. Dann kommt er zu mir. "Es juckt unter der Maske, ich muss da erst mal raus und mich abschminken", entschuldigt er sich. Eine halbe Stunde später ist er zurück von seinem Wohnwagen. Zum ersten mal seit 27 Jahren sehe ich ihn nun ungeschminkt vor mir. "Sind wir alt geworden", lachen wir beide.
Dann ist Partytime. Die Künstler feiern die Premiere, mit Essen vom Buffet und Sekt. Die Blondinen - noch immer in ihren hautengen Kostümen - tanzen ausgelassen, andere Künstler haben ihre Kinder dabei. Eine 100-köpfige Zirkusfamilie.
Oliver und ich stehen an der Bar, mit Sekt und Red Bull. Erzählen uns, was wir so gemacht haben. Oliver, den unser damaliger Musiklehrer als "absolut unmusikalisch" abstempelte, weil er mit der Blockflöte nicht sehr viel Lust zeigte, ist inzwischen ausgebildeter Musikclown, ausgezeichnet mit etlichen Preisen. Er hat mit den Zirkussen die Welt bereist, spricht 7 Sprachen. Er war zweimal Direktor von eigenen Zirkussen. Einmal damit pleite gegangen in Spanien, einmal in Deutschland. "Keine Zuschauer, keine Einnahmen", erzählt er. Die Leute gingen einfach nicht mehr in den Zirkus, viele Unternehmen hätten schon dicht machen müssen.
Zwischendurch unterhalten wir uns mit Ricardo. Er war an diesem Abend Premierengast, tritt sonst in einem der größten Zirkusse Deutschlands auf. Auch er hat nichts Gutes zu berichten. In Koblenz zwei Abende ausverkauft, danach kaum noch Zuschauer. In Aschaffenburg abgesagte Vorstellungen mangels Interessse.
Oliver erzählt mir, der "Zirkus des Horrors" sei ein Versuch, etwas Neuartiges, Modernes zu bieten, um den Zirkus mit anderen Mitteln am Leben zu erhalten. Inzwischen sind wir bei der zweiten Flasche Sekt. Wir philosophieren, was sich verändert hat, dass man Eltern mit ihren Kindern oder auch "normale Menschen" nicht mehr in den klassischen Zirkus locken kann.
"Die Menschen sind übersättigt von heutigen Freizeitangeboten, Musicals, Freizeitparks, und vom Zirkus hat man schon alles im Fernsehen gesehen", meine ich. Oliver widerspricht. Das Fernsehen habe dem Zirkus noch nie geschadet. Er meint, die Leute seien zu viel mit dem Internet beschäftigt, nur noch bei Facebook, statt mal rauszugehen.
Ich erkläre ihm aus meiner Erfahrung, warum das so ist. Dass man heute oft arbeitet für 2, unter Druck und Überstunden, für große Freizeitaktivitäten die Zeit und Energie fehlt, selbst am Wochenende. Dass soziale Netzwerke oft noch die einzige Möglichkeit bieten, Kontakt mit Freunden aufrecht zu halten, mitzubekommen, was bei ihnen los ist.
Wir beide sind uns nachts um halb drei einig: das Leben hat sich verändert, nicht weil wir beide 27 Jahre älter geworden sind, sondern weil wir nicht mehr den Sinn haben und uns die Zeit nehmen für den Geruch von Sägemehl und Elefantenkot, die alte Zirkusromantik.
Ich erfahre schließlich noch, dass der lange, kalte Winter auch für dieses junge Zirkusprojekt enorme unerwartete Kosten verursacht, um das Zelt zu heizen und Wasserleitungen in den Wohnwagen nicht einfrieren zu lassen. Die Proben haben die Artisten aus Kostengründen sogar im unbeheizten Zelt abhalten müssen, bei Null Grad.
Als ich die feiernde Zirkusfamilie gegen Morgen verlasse wünsche ich ihnen viel Erfolg und immer ein volles Zelt. Auch wenn es nicht mehr nach Manege und Tieren riecht - es gibt sie immer noch, die Akrobaten und Zirkusleute mit Leib und Seele, die uns zwischendurch in ihre Welt entführen möchten. Wenn sie verschwinden dann verschwindet ein letzter Rest Illusion und Unbekümmertheit in unserer Welt.