Mathias Piecha
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Tolle Wurst!

11/5/2014

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Ich kann es schon zwei Stunden danach nicht mehr hören und lesen. Eine gesichtsschamhaarbepflanzte Transe hat für Österreich den Eurovision Song Contest gewonnen.

Ein Sieg der Toleranz in Europa, tönt der beseelte Gutmenschenchor von Dublin bis Wladiwos...nein, so weit dann doch nicht. Aber die Zahl derer, die betonen, wie toll es ist, dass es möglich war, Chonchita Wurst aus dem von Herzen linken Österreich zur Nummer 1 in Europa zu wählen, ist groß.

Es ging also um eine Wahl der Toleranz? Das hatte ich nicht mitbekommen. Dann hätte der dunkelhäutige Ungar ja Platz 2 machen müssen. Mindestens. Und die russischen Teilnehmerinnen hätte man nicht ausgepfiffen bei dieser Veranstaltung der Toleranz in Kopenhagen.

Vielleicht haben sich viele aber auch mal eben ihren persönlichen Hofnarren - oder heißt es Hofnarrin - gewählt. In einem Wettbewerb, in dem sonst höchstens noch ein niederländischer 70er-Country-Song Aufmerksamkeit im musikalischen Einheitsgewäsch erregte, hatte es ein Bart im Kleid einfach leicht. Aus meiner Sicht nicht mal mit einer so großartigen Stimme und einem Song, der auch nicht gerade neue Wege geht.

Toleranzgeschwurbel ist danach aber völlig fehl am Platz. Gewählt werden sollte die beste künstlerische Darbietung. Stellen wir uns Chonchita mal als normales blondes schwedisches Würstchen vor - der Sieg wäre schwer geworden.

Toleranz und Offenheit haben dann Einzug gehalten, wenn man sexuelle Vorlieben nicht für einen Sieg braucht. Und wenn man im Übrigen auch einfach sagen kann, dass Conchita scheiße aussieht. Und nicht besser singt als andere.
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Einsam

11/4/2014

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Die Leere ließ ihn nicht ruhen. Tief in ihm brannte sie ein Loch in seine Eingeweide. Wenn er es körperlich spürte, an den Abenden, manchmal auch in seiner Limousine, dann wurde sein Blick besonders hart, während er sich auf irgendetwas konzentrierte, das er tun wollte. Tun musste.

Es war nicht immer so gewesen in ihm. Damals, zu Beginn der Macht, als alles unsicher war, aufregend, neu, beängstigend zuweilen. Dann hatte er die Menschen gesehen. Die, denen es schlecht ging, die warteten und hofften. Die, denen es besser ging, die nicht mehr warten wollten und die nichts mehr verlieren wollten, die er deshalb fürchten musste.

So vieles hatte er schaffen wollen, schaffen müssen. Und dennoch wollten so viele ihn behindern. Bis er lernte, sie zu zähmen. Um seiner selbst willen. Und um der guten Ziele wegen. Alles war viel zu groß, um es nicht mit harter Hand im Griff zu halten.

Doch das Gute wurde immer schwieriger. Die einen hassten ihn immer mehr, die anderen im Ausland waren anmaßend freundlich. Was konnte er noch geben? Wo war die tiefe Befriedigung über Erreichtes, der Seufzer der Entspannung?

Er war noch lange nicht am Ziel. Seine Ziele mussten wachsen und er würde mit ihnen wachsen. Nicht mehr nur zu Gast sein in der Welt. Nicht mehr nur mit einem Bauernmütterchen neben sich im Bett. Nicht mehr nur Friedhof für abgewrackt U-Boote, Almosen Empfänger für den eigenen Reichtum.

Die Welt hatte zu ihm zu kommen, ihn zu bitten, ihn zu beneiden. Dann würden auch die Seinen ihn lieben können. Ihn ehren für das, was er für sie tat. Mit ihm das Haupt stolz erheben.

Die Welt kam zu ihm, zu seinen Spielen. Doch sie ließen ihn allein. Während er lächelnd im Schnee feierte fraß der Schmerz in ihm. Die Einsamkeit, das Etwas, das fehlte. Mehr noch, noch viel mehr musste es sein, was ihm  doch endlich Befriedigung geben müsste. Wenn schon kein Respekt, dann wenigstens Furcht sollte es sein.

Und er begann das Äußerste. Endlich war er frei. Hatte endlich die Erkenntnis, dass er alles tun konnte. Dass er sogar alles tun musste, was möglich war. Warum nur hatte er es so lange nicht erkannt, was ihm Befreiung geben würde?

Und die Seinen begannen zu feiern, ihn zu lieben, ihm endlich jubelnd zu folgen. Dieses verhasste Brennen in ihm war kaum noch da, wich einer zitternden Spannung, der Aufregung der nächsten Schritte.

Jetzt würde ihn niemand mehr aufhalten.
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Die wollen das so

6/4/2014

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Ich mache seit 14 Jahren Radio. Und bin dabei immer wieder einem Satz begegnet: "Der Hörer möchte das so." Nur ein Beitrag pro halbe Stunde - der Hörer möchte das so. Der Beitrag höchstens 1:30, oder besser noch nur zwei moderierte O-Töne auf Musikbett - der Hörer möchte das so. Von amerikanischen Studien beseelte Programmmacher sendeten plötzlich "Formatradio". Weil "der Hörer das so wollte".

Als es beim Formatsender WDR2 vor Jahren eine Formatierung von Beiträgen auf maximal zwei Minuten geben sollte begehrte der verantwortliche Redakteur für den "Stichtag" auf, eine tägliche Serie zu geschichtlichen Ereignissen. Er erreichte, dass die Hörer wirklich gefragt wurden. Und siehe da: die 4 Minuten "Stichtag" fanden sie genau richtig, kürzer wollten sie ihn nicht.

Verstehe einer diesen Hörer! So schwer ist das aber gar nicht. Dieser Hörer ist nämlich gar kein dummer Berieselungsfanatiker. Er erkennt nur einfach, was gut gemacht ist, aufwendig recherchiert und gekonnt produziert. Wie z.B. die täglichen 4 Minuten "Stichtag", gut gemachte Geschichte mitten im Formatradio von guten Autoren.

Weiter gedacht: freie Autoren, die irgendwann mal irgendwie zum Radio kamen und mal eben einen O-Ton holen sollen werden auch oft nur Beiträge abliefern, die höchstens 1:30 lang das Interesse des Hörers finden. Wir haben also das Henne-Ei-Problem: wer war zuerst da, der sparende Redakteur im Sender oder der immer weniger hören wollende Hörer?

Wechseln wir das Medium. Hin zum großen Fernsehen. Wo man gestern Abend eine Institution beendete. "Wetten, dass...", Europas erfolgreichste Fernsehshow. Begründung der ZDF-Programmmacher: "veränderte Sehgewohnheiten" der Zuschauer. Da ist es wieder! "Der Zuschauer möchte das nicht mehr".

Rückblende. Markus Lanz übernahm von Thomas Gottschalk "Wetten, dass..." mit dem Vorsatz, es alles ein bisschen mehr so zu machen, wie der Zuschauer es will. Also z.B. mit Privatfernseh-Nervmoppel Cindy von Marzahn, mit Promi-Sackhüpfspielchen, um den Dschungelmadenesser guckenden Zuschauer nicht zu überfordern.

Als Markus Lanz zum ersten Showauftritt in die Halle stürmte tat er das mit so einem peinlich schlechten Eingangsgag, dass man sich fragen musste, was für ein Niveaulimbo Lanz da glaubte, spielen zu müssen, um den Zuschauer für sich zu gewinnen.

Als sich internationale Stars wie Tom Hanks einfach nur noch auf der Lanz-Couch verarscht vorkamen ob des schulfestmäßigen Gehopses war die Reaktion von Lanz und ZDF: in Zukunft weniger internationale Promis in der Sendung. Aha! Denn die Quoten bröckelten bereits und der Zuschauer wollte wohl weniger Amerikaner in der Sendung, schon gar keine, die die deutsche Sendung scheiße fanden.

Nein! Auch hier ist "der Zuschauer" wieder nur der vorgeschobene Deckmantel für die unsägliche Unfähigkeit der Programmmacher, noch Qualität abzuliefern.

Trotz immer größerer Konkurrenz am Samstagabend: Gottschalk hatte immer noch Quote gemacht. Ohne Cindy, mit amerikanischen Hollywood-Größen. Und wer mit dem Dschungelcamp schon am oberen Ende seiner geistigen Aufnahmefähigkeit angelangt war guckte auch damals nicht "Wetten, dass...".

Aber der Zuschauer bekam noch gut gemachte Unterhaltung, von einem blondgelockten Profi, der sein Handwerk gelernt hatte. Übrigens beim Radio, zu einer Zeit, als es noch kein Formatradio gab.

Es stirbt mit "Wetten, dass..." nicht einfach nur eine ehemals große Fernsehsendung. Wir erleben das Ende einer Zunft. Unterhaltungsprofis mit Gespür für Qualität haben keine Chance mehr, irgendwo heranzuwachsen und zu lernen, sich und erst recht Formate zu entwickeln. Die Formate sind schon da, und wer mitspielen möchte muss sich in diese Formate pressen lassen.

Aber ich behaupte: Zuschauer und Zuhörer können am wenigsten dafür.
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Endlich sexuell frei!

9/1/2014

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Endlich! Ein ehemaliger Fußball- Nationalspieler hat uns befreit. Mit seinem Coming Out wissen wir jetzt alle, dass sich kickende Männer im Schwabenland, in England, Italien und bei der Auswahl der Nation nicht fürchten mussten, die Seife aufzuheben, während sie mit einem Schwulen in der Gemeinschaftsdusche standen.

Mut, Respekt, Anerkennung - so schallt es durch die Twitteraccounts der Promis, selbst die Kanzlerin zollt liegend Respekt. Ein Held ist uns geboren. Ein schwuler Held, der uns da endlich verkündet hat, dass sexuelle Neigung erlaubt ist und funktioniert. Das ist neu und das wussten wir noch gar nicht, oder?

Aber: was ist neu an diesem Coming Out? Was lässt uns applaudieren, die sexuelle Freiheit beschwören?

Seien wir ehrlich: Herr Hitzelsperger ist um Jahre zu spät, um uns zu zeigen, was alles sexuelle Normalität ist. Wir hatten längst einen Torwarttitan, der seine hochschwangere Ehefrau mit Discohopse Verena vertauschte, um sich seine sexuelle Freiheit zu nehmen. Und im öffentlich-rechtlichen ZDF darf uns der hochgeschätzte Experte schon lange Positionswechsel und Deckungsfinessen erklären, ohne dass uns etwas stört. Ein Michael Ballack gibt sein von uns umjubeltes Abschiedsspiel, das Söhnchen auf dem Arm, nachdem er vorher Frau und Kinder mit der Freundin eines Kollegen - sexuell völlig befreit-  geschasst hatte. Das ist normal, das ist Freiheit. Was also ist da noch neu bei Herrn Hitzelsperger?

Und überhaupt: warum brauchen wir Fußballer, um uns in sexueller Freiheit zu suhlen? Die omnipotenten Christsozialen Söder und Seehofer, deren erigierte Schwänze ihre Ehefrauen seit Jahren nicht zu sehen bekamen, haben wir doch längst wiedergewählt, damit sie für Zucht und Ordnung sorgen.

Wir sind doch längst befreit von allen sexuellen Zwängen und es ist uns egal, wer mit welchem Körperteil welche Löcher füllt.

Dann hören wir doch bitte auch auf, "Respekt" zu rufen, wenn jemand seine eigene Form der Sexualität verrät und onanieren wir einfach genüsslich und gerne öffentlich auf unsere Freiheit.
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Blechkumpel

3/12/2013

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Wir haben viel zusammen erlebt, Du und ich. Und ja, ich habe Dir viel zugemutet. Ich kannte irgendwann all Deine Stärken, auch all Deine Schwächen.

Zusammen waren wir in Schottland, drei Wochen. Auf Schotterpisten, mit Schlaglöchern, zwischen Schafen auf der Straße. Zu viert und Du, mit unseren Gepäckschichten bis zum Anschlag.

Vier Wochen in den Alpen, das war unsere Krönung. Steile Passstraßen, schmal und oft dicht am Abgrund. Klettern, dann wieder bremsen.

Wir konnten uns immer aufeinander verlassen, Du und ich. Gut, auch wenn Du öfters mal kein Licht mehr für mich hattest.

Aber Du hast auch meine schweren Zeiten erlebt. Damals, als ich jeden Morgen schweißgebadet zur Arbeit fuhr, bis ich krank wurde. Dann, als ich Dich gar nicht mehr ertragen konnte, zu zittern anfing, wenn ich Dir zu nahe kam.

Später, als ich die Frau in der Klinik besuchte, auf dem Rückweg geheult habe, Wochenende für Wochenende. Du gabst Dein bestes, ich habe Dich getreten. Besonders, als ich meine Tabletten zu Hause vergessen hatte und ich wusste: es bleibt nicht viel Zeit, bis die unerträglichen Kopfschmerzen anfangen. Du bist geflogen für mich, hast BMWs gejagt. Und zusammen haben wir es geschafft!

Dann, als meine neue Chance kam. Von uns beiden hat sie viel gefordert, von Dir 150 Kilometer am Tag. Du warst mein Begleiter, als ich wieder immer fordernder und fröhlicher wurde.

Doch auch an Dir ging die Zeit nicht spurlos vorbei. Du fingst an zu klappern, zu ächzen. Deine teuren Organe mussten ersetzt werden. Nur die nötigsten konnte ich Dir geben. Ich weiß, Du brauchst bald noch mehr.

Nach 132.000 Kilometern ist unsere gemeinsame Zeit heute abgelaufen. Ich habe Dich abgegeben. Für Geld. Mehr Geld, als noch Dein Wert ist. Weniger Geld, als die Erinnerungen mit Dir wert sind.

Ich wünsche Dir noch schöne Jahre. Vielleicht in einer Garage, die Du Dir immer so gewünscht hast und die ich Dir nie bieten konnte. Vielleicht musst Du nur noch zweimal die Woche raus, zum Parkplatz beim Einkaufszentrum. Oder dreimal die Woche zur Uni.

Ich weiß, Du wirst Dein bestes geben. Mach es gut, alter Blechkamerad.
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Herr Mbassi

27/10/2013

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Weiße, krause Haare. Ein brauner Anzug. Entschlossene Schritte nach vorne. Mr. Mbassi stellt sein Laptop auf das Rednerpult. Zuerst entschuldigt er sich. In der Nacht erst ist er aus Casablanca angekommen. Von einer kurzfristig einberaumten UNO-Konferenz. Weil sie sich in Mali gegenseitig in die Luft jagen. Seine Rede konnte er nicht ausdrucken, sich nicht vorbereiten. 


Dann erklärt er uns Afrika. In 20 Minuten. Ich habe selten Menschen erlebt, die Statistiken, an die Wand geworfen, ähnlich zum Leben erwecken konnten. Wahrscheinlich noch niemanden, der Zahlen so aus dem Herzen präsentiert hat. Staaten, die voran kommen möchten, brauchen Bürgerbeteiligung und Dezentralisierung. Er spricht frei, ohne zu stocken, nächtliche Reisestrapazen sind ihm nicht anzumerken. Er appelliert, überzeugt. Tosender Applaus. 


Ich arbeite mich im Konferenzraum langsam nach vorne. Meine Fragen habe ich vorbereitet. In dem Glauben, jemand wie er von irgendeiner Organisation sei doch nur irgend so ein langweiliger Bürokrat, bestenfalls rethorisch gut. Die Anwesenden aus Afrika kennen Mr. Mbassi, nehmen ihn in Beschlag. Irgendwann bin ich dran. Keine Ahnung, ob die Anfrage für ein kurzes Interview an ihn weitergeleitet wurde. Er sagt aber sofort zu, will sich Zeit für mich nehmen. Dann ist er wieder umringt von Leuten, die ihn sprechen möchten, ihre Visitenkarte austauschen. Immer wieder höre ich sein lautes, herzliches Lachen. Den einen oder anderen umarmt er. Während ich etwas abseits zuschaue ruft er mir immer wieder zu: "I will come with you!" 


Irgendwann gelingt es uns dann tatsächlich, uns in eine Stille Ecke im Konferenzraum zurückzuziehen. Fünf Fragen für Facebook, erkläre ich ihm. Für jüngere Menschen, die sich engagieren möchten. Kurz. Für mich würde ich hinzufügen: oberflächlich. Doch seine Antworten sind es nicht. Sind voller Enthusiasmus, geben ein Feuer wieder. Er, der kaum Schlaf hatte in der Nacht zuvor, sich um einen Krieg in Afrika kümmern musste, spricht zu mir an junge Menschen in Deutschland. Engagiert Euch für die eine Welt, ist sein Appell. Die Jugendlichen in Afrika wollen das Selbe. Was wir von Afrika lernen können, frage ich ihn. Er erzählt eine Geschichte von einem jungen Paar aus Europa. Am Kilimandscharo waren sie abends in einem Dorf gelandet, ohne Hotel, Motel, Jugendherrberge. Eine Familie nahm sie auf. Gab ihnen einen Schlafplatz, kochte für sie. Als die junge Europäerin fragt, warum die Familie selbst nichts esse, ist die Antwort: "Ihr müsst morgen Fahrrad fahren, ihr braucht die Kraft." "Und das", sagt Herr Mbassi, "das könnt ihr von uns in Afrika lernen." 


Dann ist mein Smartphone nicht mehr auf Aufnahme geschaltet. Aber das Gespräch geht weiter. Mit einem Mann aus Kamerun, den ich mir vor 24 Stunden noch als trockenen Bürokraten vorgestellt habe. Staaten verfolgen eigene Ziele, Menschen wollen Freundschaft und Humanität. Deshalb sollen sie sich auf untersten Ebenen kennenlernen, sich helfen. Sein Appell ist ihm wichtig. Immer wieder beugt er sich vor, packt mich am Arm, blickt mich dabei mit warmen Augen an, während er spricht. Die Menschen ließen sich heute nicht mehr alles von ihren Regierungen gefallen. Sie stünden auf, wenn ihnen etwas nicht passt. Meinen Zweifel bemerkt er an meinem Blick. Nennt Saatgut von Monsanto, das der Konzern nicht mehr so einfach verkaufen könne, weil die Menschen sich wehrten. "In 10 Jahren haben wir eine andere Welt" ist er überzeugt, lacht. 


Eine Dreiviertelstunde reden wir. Auch über den Kollonialismus. Dass die Europäischen Regierungen es versäumt hätten, in ihrer eigenen Zeitzone Geschäfte mich den Menschen in Afrika zu machen, "die die selbe Sonne aufgehen sehen". Statt dessen habe man auf China gesetzt, bis die alles selber könnten und uns nicht mehr bräuchten. Er argumentiert mit Zahlen, mit Geschichte. Doch sein häufigstes Wort ist "humanity". Jeder Mensch habe sie in sich. Und das sei unsere Zukunft. 


Dann wird er von einem Tagungsteilnehmer abgeholt, muss noch jemanden treffen. Wir schütteln uns die Hände, ich höre wieder sein lautes, herzliches Lachen. Ich bin kurz allein. Überwältigt von der inneren Kraft und ungekünstelten Überzeugung von dem Guten im Menschen, von dem Veränderungswillen der nächsten Generationen. Eigentlich ist er Politiker. Und doch so ganz anders als die, die ich kenne. 


Und ich frage mich: ist er naiv? Haben wir bei uns in Deutschland nicht gerade Wahlen erlebt, die alles andere zeigten als Menschen, die Veränderung wollen und gegen schlechte Politik aufstehen? Sind so viele bei uns nicht eingelullt von dem täglichen 12-Stunden-Kampf um die nächste Vertragsverlängerung, von den steigenden Kosten, der psychischen Belastung des Alltags, dass kein Platz mehr bleibt für Menschen mit Problemen im eigenen Land, ganz zu schweigen von Afrika?  

Die Welt bräuchte mehr Herren Mbassis. Ich bin froh, diesen einen getroffen zu haben.

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Rührei für Afrika

12/9/2013

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4-Sterne-Hotel, Innenstadt. Kurz vor 8. Ein nüchtern eingerichteter Konferenzsaal mit 20 Meter Frühstücksbüffet, Tischen für jeweils 8 Personen. Es ist voll. Ich decke mich ein, Rührei mit Bacon, ein Brötchen, Salami und Käse. Finde einen freien Platz an einem der Tische. Neben mir fragt eine Frau, zwischen zwei herzhaften Bissen in ihr Brötchen ihre Sitznachbarin mit Obstsalat: "Worum geht es denn heute?" - "Afrika, glaube ich", ist die Antwort. 

Ich habe mir gerade Kaffee eingeschüttet und mein Rührei zur Hälfte geschafft, da klopft die Gastgeberin energisch mit einem Messer gegen ihr Glas. Die etwa 60 Gäste verstummen. Begrüßung des Gastredners. Der wohl beleibte Herr, um die 60, im beigen Pullover, erhebt sich, fängt an zu referieren. Über die schwere Bürde der Kolonialzeit für seine Stiftung. Über Afrika, das ja kein Land sei sondern ein Kontinent. Über das man bei uns ja immer noch zu wenig wisse. Und das immer noch als arm, mit hungernden Menschen und rückständig dargestellt werde. Meist zur Weihnachtszeit, um Spenden zu generieren. 

Die Kauenden um mich her versuchen, leise zu sein. Bisse ins Brötchen klingen dennoch wie Schritte auf trockenem Holz. Der Redner von der Stiftung ist nun beim persönlichen Teil. 10 Jahre habe er in diesem "Afrika" arbeiten dürfen. Eine Kellnerin bringt neues Rührei, ein zu spät gekommener Herr im Anzug bedient sich am Büffet. Mir ist es derweil gelungen, nahezu geräuschlos mein Brötchen zu belegen und so traue ich mir zu, auch noch Kaffee nachzuschütten. 

Im Vortrag wird es jetzt wirtschaftlich. Der Chinese sei so ganz anders in Afrika. "Stellen Sie sich einen Deutschen und eine Chinesin vor, die zusammen in Afrika ein paar Kinder mit nackten Füßen sehen", referiert der Afrika-Kenner, während ich mit den Geräuschen meiner Salami-Brötchenhälfte kämpfe. "Der Deutsche telefoniert sofort nach Hause, dass man Schuhe spenden müsse. Die Chinesin aber hat ein Maßband dabei, misst die Kinderfüße und lässt passende Schuhe produzieren." 

Mittlerweile wird von aufmerksamen Kellner neuer Orangensaft zum Büffet gebracht, der Stiftungs-Redner ist nun richtig in Fahrt und schießt Breitseiten gegen die Entwicklungspolitik. Überhaupt wüssten Politiker kaum etwas von Afrika. Aber dafür mache seine Stiftung ja Lobbyarbeit. Schwitzend nimmt der Afrikafreund Platz und es ist Zeit für die Gastgeberin, ihm zu danken und Fragende aufzurufen. 

Ich scheine mit meiner Erleichterung nicht allein zu sein, dass der Vortragsteil nun vorüber ist, beiße befreit in meine Käsebrötchenhälfte. Besteck ist im Saal wieder zu hören, Quark wird gelöffelt, vereinzelt holt man sich Nachschub am Büffet. Der Institutsleiter an meinem Tisch lässt von seinem dritten Brötchen, diesmal belegt mit Fleischsalat, ab und wird zum erregten Fragesteller. Dass man Afrika nur noch als arm und rückständig wahrnähme decke sich ja gar nicht mit seinen Beobachtungen. Ob diese Behauptung denn zu validieren sei, fragt er mit lauter Stimme. Und er habe 8 Jahre in Mali gelebt. Dann wendet er sich wieder zum Fleischsalat. 

Weitere Einwürfe folgen, von einem älteren Herr, 5 Jahre Ghana und einer Dame mit Doppelnamen von einer Organisation, 4 Jahre Sambia. Jüngere Teilnehmer melden sich zu Wort, in Ermangelung von eigenen Afrikajahren eifrig erwähnend, dass sie gerade von Tagungen in Berlin kämen und den Chinavergleich gefährlich fänden. 

Mein Brötchen habe ich geschafft und tupfe mir den Mund mit der Serviette ab. Ich fühle mich satt und brauche Orangensaft. Auf dem Weg zum Büffet dringen weitere Doppelnamen an mein Ohr, mal stimmt die Vertreterin einer Hilfsorganisation dem Sprecher zu, mal rechtfertigt sich eine Dame vom Ministerium. Dem Herrn vom Institut hat man inzwischen den Teller abgeräumt, was ihn zwingt, sich einen neuen samt Brötchen mit Belag zu holen. Ein Herr fragt gerade, was die Stiftung des Redners denn eigentlich genau mache. Er setzt deshalb, noch mehr schwitzend zu einer Antwort an, erklärt ausschweifend, wie gut seine Stiftung Politikern die wirtschaftliche Lage in Afrika erklären könne. 

Irgendwann ist die Stunde vorbei, die letzten Fragesteller aufgerufen. Mein Orangensaft ist leer. Die Gastgeberin hat noch ein paar abschließende Worte: am Freitag gibt es ein Fußballturnier der verschiedenen EZ- und IZ-Organisationen der Stadt. Und bitte schon mal vormerken solle man das berühmte gemeinsame Glühweintrinken im Dezember. Schluss. Satt und gestärkt erheben sich die Frühstückenden. Man kennt sich und networked ein wenig oder eilt zum nächsten Termin.  

Während ich mit dem Aufzug nach unten zur Tiefgarage fahre habe ich plötzlich nur noch einen Wunsch: unten das Autoradio laut aufdrehen und Toto hören. Mit 'Africa'.
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"Nicht so laut!"

15/7/2013

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So höre ich heute noch meine Tante flüstern, halb ängstlich, halb lachend. 1981. In Ostberlin. Als wir Westler einen Besuch bei ihr machten und mein Vater mit dröhnender Stimme gescherzt hatte: "Wenn Ihr hier drüben mal das Feuer erfunden habt..."
Das Küchenfenster stand auf nach dem Essen. Und jeder an den anderen Fenstern des Mietshauses in Adlershof hätte es hören können. Und melden. Die Angst war eingepflanzt. Vor Nachbarn, Kollegen, Freunden. Und dem, was dann kommen könnte. In Stasizellen, in Gefängnissen.

40 Jahre zuvor hatte meine Oma Butterbrote geschmiert. Früh morgens um 4, bevor sie aus dem Haus musste. Die Brote verpackte sie in Zeitungspapier und dann, draußen, legte sie das Bündel noch in der Dunkelheit im Vorübergehen auf einen Zaunpfosten. Vor der großen, alten Villa. Die nur noch bewohnt war von einem alten, spindeldürren Mann in einem langen, viel zu großen Mantel. Mit einem gelben Stern am Ärmel.

Meine Oma, meinte Tante, sie hatten Angst. Zu Recht. Die Gefahr, entdeckt zu werden, vielleicht auch einfach verleumdet zu werden, war greifbar. Alle wussten davon, mit den engsten Verwandten tuschelte man auch darüber. Niemand konnte man wirklich trauen. Also tat man es auch nicht.

Wir haben 2013. Heute darf ein Helge Schneider Hitler spielen, scheint die jubelnde Menge am Brandenburger Tor 1989 in weiter Ferne zu sein. Freiheit ist für uns selbstverständlich, auch eine ehemalige DDR-Bürgerin als Kanzlerin. Wir haben Freiheit. Können denken, schreiben sagen, was wir wollen.

Wir teilen heute die Fotos unserer Kinder mit der ganzen Welt. Wir kommentieren Zeitungsartikel, starten Online-Petitionen im Netz, wenn wir zu den Engagierten gehören. Haben eine persönliche Webseite, mit der wir bei der Jobsuche für uns werben. Mit Lebenslauf und Urlaubsfotos. Wir haben nichts zu verbergen, wenn wir nichts unrechtes tun.

Und dann, plötzlich, überrascht unsere moderne, überschaubare Freiheit ein ehemaliger US-Geheimdienst-Dienstleister-Mitarbeiter. Alles, was wir mit anderen besprechen, fotografieren, als Meinung äußern, hassen und verabscheuen ist gespeichert. Für immer. 

Meine Oma ist tot, meine Tante eine alte, fast blinde Frau ohne Internet und Computer. Da werde ich keine Meinung mehr bekommen zu dem, was wir da erfahren haben.

Wir hören und lesen die eine oder andere Story. Von Journalisten, die bei der Einreise in die USA zu Dingen befragt werden, die sie nur in Emails mit anderen besprochen haben. Von einem Mann im Hessischen, der Stunden, nachdem er auf Facebook ein paar Freunde eingeladen hat, ein geheimnisumwittertes Militärgebäude der Amerikaner von außen zu besichtigen, Besuch von der Polizei erhält.

Wir sehen eine Kanzlerin - die ehemalige DDR-Bürgerin - feist und aufrecht in einem Sessel mitten auf dem früheren Todesstreifen sitzen. Sie erklärt uns, dass sie sicher sei, noch nie abgehört worden zu sein. Dass alles nach Recht und Gesetz geschehe. Den Rest könne man freundschaftlich mit den Rus... Verzeihung! Mit den Amerikanern besprechen.

Diese Frau wird freiwillig und mit ehrlich ausgezählten Stimmen von nahezu der Hälfte der freien Deutschen in 2 Monaten wiedergewählt werden. Wir posten weiter unsere Kinderfotos und erstellen irgendwelche nutzlosen Online-Petitionen. Mit "Wir sind das Volk" wären wir inzwischen überfordert. Vielleicht hätten wir auch gar keine Zeit mehr dafür, weil wir abends mit unseren Onlinefreunden chatten. 

Angst und Unfreiheit kennen wir kaum noch aus eigener Erfahrung. Wir wissen nicht, was wir da eigentlich gerade schützen müssten. Es wird schon alles gutgehen. Und zu den paar Spinnern, die da versuchen, Horrorszenarien aufzubauen, sagen wir einfach genervt: "Nicht so laut!"
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Seespaziergang

21/6/2013

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Die drückende Schwüle ist vorbei. Die Unwetter haben die Luft klar gemacht. Die Sonne scheint wieder. Angenehm ist die Wärme jetzt, klebt nicht mehr an jeder Faser.

Ein Stockwerk nach oben. Ich gehe zu Fuß. Weißes Mauerwerk, zwei Glastüren. Dann bin ich in der Station. Auf dem Flur. Sie steht da und wartet auf mich. Ernst. In Jeans und Sweatshirt. Kommt auf mich zu. Wir küssen uns.

Wiedersehen nach zweieinhalb Tagen, bevor sie hierher in die Klinik kam. Natürlich sind wir vertraut. Es ist keine Wiedersehensfreude wie nach längerer Trennung. Aber doch ist alles anders hier. Zwischen den Veranstaltungs-Aushängen an der Wand, den Türen mit "Bitte nicht stören. Therapie"-Zetteln.

"Hier essen wir morgens und abends", sagt sie und zeigt auf den großen Tisch hinter der Glaswand. "Da ist unser Aufenthaltsraum. Da können wir abends dann sitzen." Sie sagt schon "unser". Ist wieder einmal angekommen in der Gemeinschaft der Kranken. Ist das ja auch gewohnt nach den letzten Rehas. Die letzte beendet vor 6 Wochen.

"Und hier ist mein Zimmer." Ein Zweibett-Zimmer, Aussicht ins Grüne, geräumig. Sauber gefaltet liegt die Nachtwäsche auf den beiden Krankenhaus-Betten.

"Sollen wir ein bißchen raus gehen?" fragt sie. Wir gehen über den Flur, raus in die geräumige Anlage. "Da sind die Suchtkranken, das da hinten ist die Geschlossene Abteilung, da bei den großen Veranden wohnen die Privatpatienten."

Sie hat sich schnell orientiert hier. So kenne ich sie. Wir gehen in den parkähnlichen Teil der Anstalt. Vorbei am Volleyball-Platz, an der großen Minigolf-Anlage zum See mit den Enten. Es ist noch zu nass vom Unwetter, um zum Wasser zu gehen. Aber die Bank zwischen den Bäumen ist von der Sonne schon wieder trocken. Wir setzen uns.

"Hier ist es schöner als neulich in deiner Reha in Saarbrücken", sage ich. "Wie war dein Tag?" Sie erzählt von der Ergotherapie, dass es Hühnergeschnetzeltes mit Reis gab. Ich erzähle von meiner Arbeit.

Nichts ist spektakulär. Die Situation schon von anderen Orten bekannt. Der Mensch, den ich liebe, ist wieder eingeliefert. Die Hoffnung auf Besserung oder Heilung schon darauf reduziert, wann sie die Medikamente umstellen wollen.

Ich bin müde vom Tag. Sie sieht es mir an. "Du brauchst nicht länger zu bleiben. Fahr nach Hause. Samstag sehen wir uns doch wieder."

Sie bringt mich bis zum Aufweg zum Parkplatz. Abschiedskuss. Ich gehe hinauf zum Auto. Drehe mich dann noch einmal um. Winke.

Müde fahre ich die 5 Kilometer nach Hause. Freue mich auf ein Bier.

Dann, später, sitze ich mit meinem Bier auf dem Balkon. Und ich, der Gesunde, fange an zu weinen.

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Verliererpose

26/5/2013

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Nach dem Championsleague-Finale. Ich bin happy. Als Bayern-Fan. Schaue fern. Nehme Emotionen auf, Bilder die ich nicht vergessen möchte. Dann ist er wieder im Bild. Wird interviewt, gefeiert. Jemand drückt ihm den Pokal in die Hand. Er spricht von "wirtschaftlicher Vernunft". Der Präsident. Uli Hoeneß.

Zuvor schon, vor den Augen der ganzen Welt, hat die Kanzlerin ihm gratuliert. Ihm die Hand geschüttelt. Ihm, der sich selbst als Steuerhinterzieher angezeigt hat. Nachdem klar war, dass ein Gesetz nicht in Kraft treten würde, das ihm eine milde Strafe garantiert hätte.

Uli Hoeneß hat vorsätzlich gehandelt. Abgezockt. Er ist nicht Opfer schlechter Berater. Wie man hört eher seiner Spielleidenschaft. Wie beurteilt man diesen Menschen?

Beim FC Bayern sind sie sich einig. Er hat vieles geleistet. Den Verein zu dem gemacht, was er heute ist. Die Kanzlerin scheint sich klar zu sein: er verdient Glückwünsche. Als selbsterklärter Schädiger des deutschen Staates. Tatsache ist: er konnte sich mit Geld aus einer Haftstrafe freikaufen, Kaution genannt. Er darf das Land verlassen und in London ins Stadion. Er darf Interviews geben, als ob nichts wäre. Er darf Bayern-Präsident bleiben, weil der Aufsichtsrat aus deutschen Wirtschaftsgrößen dem Spezi ja höchstens vorwirft, dass er sich hat erwischen lassen mit seinen Schweizkonten.

Und ich habe dann nach dem Championsleague-Sieg diesen Hals. Ich denke an Rentner im Existenzminimum. An Opelaner, die Jahrzehnte an der Werkbank standen. Lebensleistung haben sie auch. Zuverlässig ein Leben lang für ihre Familie gesorgt. Morgen für Morgen pünktlich zur Arbeit gekommen. Für das Wohl ihrer Firma und des Bruttosozialprodukts. Keine Kanzlerin schüttelt ihnen die Hand. Keine Behörde drückt beim Hartz4-Antrag ein Auge zu, wenn es um 1 Euro mehr geht.

Und der Rest schweigt. Medien interviewen den verdienten Manager. Die BILD zeigt Fotoserien der gratulierenden Fußball-Kanzlerin ohne Vorbildcharakter beim Umgang mit kühl berechnend handelnden Verbrechern.

Eine Gesellschaft, der ein Unrechtsbewusstsein komplett abhanden gekommen ist und die eine skrupellose Kanzlerin mehrheitlich liebt, wird sich weiter verarschen lassen. Auf Kosten von sich selbst und den Opfern, die irgendwann aus der öffentlichen Wahrnehmung rutschen. Denen eigentlich ein Pokal gebührt.
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